Beitrag vom 25.06.2021 (Lesezeit: ca. 5 Min.)

Der unbekannte Soldat und sein Fotograf – Teil 1

Wer ist dieser Mann?

Das ist mein Gedanke, als ich mir das Foto genauer ansehe. Gerade hatte ich ein antiquarisches Buch aus meinem Bücherregal genommen und das Foto war zwischen den Seiten herausgefallen, direkt vor meine Füße. Ich hebe die Fotografie auf und der junge Mann in Uniform blickt mich direkt an. Meine Neugier ist geweckt: Wer ist er? Wo hat er gelebt? Was ist aus ihm geworden?

Ich drehe das Bild um und blicke auf den Vordruck einer Postkarte. Das Foto war also wohl einmal als Foto-Postkarte gedacht gewesen. Allerdings: es gibt keine Handschrift und keine Briefmarke auf dieser Seite. Offensichtlich ist die Postkarte nie als solche verschickt worden. Dann entdecke ich einen kleinen Aufdruck auf der Postkartenseite. „Photo-Kunstatelier W. Lutkah, Insterburg, O. Pr., Hindenburgstraße“. Das Fotostudio, in dem die Aufnahme entstanden ist – eine erste Spur! Jetzt will ich mehr erfahren und beschließe weiter nachzuforschen. Hier beginnt die Geschichte des unbekannten Soldat und seines Fotografen.

Ich starte meine Suche mit dem, was ich auf dem Bild sehe: Ein junger Soldat, schätzungsweise um die zwanzig Jahre jung, lehnt an einem halbhohen schmalen Tischchen. Er schaut mich direkt an – ernst, aber nicht verbissen. Seine Körperhaltung hat leichte Züge von Lässigkeit: das leicht angewinkelte rechte Bein, der locker abgestützte rechte Arm und besonders die Zigarette in seiner linken Hand, die er – wie es scheint – entspannt am Koppelschloss seiner Uniform hält. Das alles wirkt selbstsicher und unverkrampft. Ich frage mich unweigerlich, ob er bereits an der Front kämpfen musste, oder ob ihm sein erster Einsatz noch bevorsteht, als er sich so portraitieren lässt.

Zur Beantwortung dieser Frage helfen mir einige Anhaltspunkte: Aus Uniformübersichten weiß ich, dass der Soldat eine Uniform des Deutschen Kaiserreichs aus der Zeit des Ersten Weltkriegs trägt. Das begrenzt den Zeitraum, in dem das Foto aufgenommen wurde, auf die Zeit zwischen August 1914 und November 1918. Genaueres verrät die Adresse des Fotostudios: Hindenburgstraße in Insterburg. Die ostpreußische Garnisonstadt Insterburg wird zwar zu Beginn des Ersten Weltkrieges kurzzeitig von russischen Truppen besetzt, dann aber von der deutschen 8. Armee unter General von Hindenburg* zurück gewonnen. Hier schlägt er in der Folge sein Hauptquartier auf. Im Jahre 1918 wird zu seinen Ehren Insterburgs bisherige Bahnhofstraße in Hindenburgstraße umbenannt. Das Foto muss also 1918 entstanden sein. Und dann sind da noch die beiden auf dem Uniformkragen aufgenähten hellen (silberfarbenen?) Winkel. Nun bin ich kein Militärexperte, aber nach meinen bisherigen Erkenntnissen weisen diese Streifen (auch Tressen genannt) den Soldaten als Unteroffizier aus. Ich nehme also an, dass er schon an Kämpfen teilgenommen hat, bevor er sich so portraitieren lässt. Weitere Abzeichen, die z.B. auf den Truppenteil hinweisen, dem er angehört, sind auf dem Foto nicht zu sehen. Schließlich ist da noch der Ort, an dem das Foto aufgenommen wurde: Insterburg. Es ist anzunehmen, dass der junge Mann hier entweder zu Hause ist und sich vielleicht auf Heimaturlaub befindet, oder dass er in Insterburg stationiert ist.

Für den Moment ist das alles, was ich über den Mann auf dem Foto herausfinden kann.

Eine reine Spekulation bleibt meine Überlegung, dass mich dieser junge Unteroffizier vielleicht auch deshalb so selbstsicher und entspannt aus der Fotografie anblickt, weil er vor allem die militärischen Erfolge der deutschen Armee an der Ostfront des Ersten Weltkrieges miterlebt hat. Im Februar 1918 hatten deutsche Truppen mit der „Operation Faustschlag“ große Teile des vormals russischen Staatsgebietes im Baltikum, in Weißrussland und der Ukraine eingenommen. Unter diesem Eindruck unterzeichnete die sowjetische Regierung Anfang März 1918 den von den Mittelmächten (allen voran durch das deutsche Kaiserreich) diktierten Friedensvertrag von Brest-Litowsk. Deutschland ist damit der Sieger auf dem osteuropäischen Kriegsschauplatz – für den Moment.

Würde dieser Mann mich wohl anders anschauen, wenn dieses Foto im Frühjahr 1918 in der Nähe der Westfront entstanden wäre und er dort eingesetzt gewesen wäre?

Natürlich weiß ich das nicht. Das bleibt – wie gesagt – reine Spekulation.

Mir fallen jetzt noch zwei Wege ein, mehr über den unbekannten Soldaten zu erfahren:

Zum einen kennt vielleicht jemand den Portraitierten aus seiner Verwandtschaft oder einem alten Fotoalbum. Ich werde mich also an Menschen aus Insterburg bzw. ihre Nachfahren wenden. Der Insterburger Heimatverein, die „Kreisgemeinschaft Insterburg Stadt und Land e.V.“ scheint mir dafür die richtige Ansprechpartnerin. Sie hat ihren Sitz und ihr Heimatmuseum im Alten Rathaus in Krefeld-Uerdingen (http://www.insterburger.de).

Zum anderen will ich versuchen, mehr über den Fotografen Walter Lutkat herauszufinden. Er hat den Soldaten portraitiert. Vielleicht gibt es ja bei Nachfahren oder in einem Archiv noch Unterlagen oder Negative aus dem Fotostudio?

Also: Fortsetzung folgt hier

* Ja, es handelt sich um den späteren deutschen Reichspräsidenten Hindenburg, der 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennt und damit den Nationalsozialisten in Deutschland zur Macht verhilft.

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Auch Ihre Familiengeschichte ist spannend!

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