Beitrag vom 24.08.2021 (Lesezeit: ca. 5 Min.)

Die verschollene Bäckerei – Teil 2

Vom Finden und Verschwinden


Zwei alte Fotografien. Ein und dieselbe Bäckerei.


























Sie war die erste eigene Bäckerei des Großvaters meines Schwagers (Bäckermeister Brede steht auf dem linken Foto in der Bildmitte).

Durch einen Artikel im DeichSPIEGEL, einem Bremerhavener Online-Magazin1, wusste ich nun, dass die Bäckerei in der Bülkenstraße 19 gestanden hatte. Einer schneller Blick auf Google-Earth zeigte: Mehrfamilienhäuser, Garagen und Grünflächen säumen heute die Bülkenstraße. Das auf den Fotos so beschaulich wirkende Häuschen war nicht zu entdecken. Es existierte nicht mehr – schade.

Wichtige Informationen

Den Grund für das Verschwinden, erfuhr ich aus dem Onlineartikel. Ein alliierter Luftangriff am 18. September 1944 zerstörte große Teile des heutigen Bremerhaven fast völlig. Auch das Stadtviertel, in dem die Bülkenstraße lag, fiel an diesem Tag in Schutt und Asche. Mit ihm vermutlich auch die kleine Bäckerei.

Für meine weiteren Recherchen stellte sich der besagte Artikel als wirklicher Glücksfall heraus. Ich erfuhr viele interessante Details über die Entstehung und Entwicklung des Stadtviertels, in dem die Bäckerei gestanden hatte. Das Paaschviertel war Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Mit seinen kleinen Häusern vom sogenannten „Leher Haustyp“ (später kamen auch größere Mietshäuser hinzu), diente es als Wohnstätte für viele Zuzügler. Diese wurden von den Arbeitsmöglichkeiten in den beiden aufstrebenden Häfen Bremerhaven und Geestemünde angezogen. Auch kleine Handwerksbetriebe und Geschäfte siedelten sich im Paaschviertel an. Da lag es wohl nahe, hier auch eine Bäckerei zu eröffnen.
Begeistert sog ich die ausführlichen Informationen des reich bebilderten Textes auf.2 So konnte ich mir nun die Bäckerei in ihrem sozialen Umfeld vorstellen. Ihre Kundschaft waren Hafenarbeiter und kleine Handwerker, deren Frauen und Kinder. Sie kauften hier ihr tägliches Brot und andere Lebensmittel (wie Mehl und „Colonialwaren“) ein.

Bilder-Vergleich

Natürlich lag es nahe, zum Autor des Artikels, Herrn Schwiebert, Kontakt aufzunehmen, um noch mehr über das Foto aus seinem Artikel zu erfahren. Doch ich entscheid mich, zunächst der Frage nachzugehen, wann das Familienfoto entstanden war. Und dafür wollte ich wissen, was mir die Fotografien selbst erzählen konnten und es mit meinen vorhandenen Daten abgleichen.
Auf den ersten Blick fielen mir eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den beiden Bildern auf. Bis hin zur Beschriftung “ Bäckerei. Mehl & Colonialwahren. Heinrich tom Suden“ hatte sich die Hausfassade kaum verändert. Lediglich der Stromanschluss im Giebel und der Schriftzug „Inh. Christian Brede“ im linken Schaufenster waren offensichtlich neu hinzugekommen.
Dabei war von vornherein klar: Das Bild, das mir mein Schwager gegeben hatte, musste deutlich jünger sein, als das Foto aus dem Artikel. Letzteres war ja auf 1905 datiert, zu diesem Zeitpunkt war der spätere Bäckermeister Christian Brede gerade einmal 11 Jahre. Auf dem Familienfoto (Bildmitte) war er in seinen Dreißigern oder Vierzigern, so vermutete ich. Das Foto konnte folglich frühestens 1924 entstanden sein. Der späteste mögliche Entstehungszeitpunkt lag mit der Zerstörung des Stadtviertels 1944 ebenfalls fest. Ein weiteres Detail auf der Fotografie selbst, half mir, dem Aufnahmedatum noch näher zu kommen. Zu den wenigen Unterschieden, zwischen den Hausfassaden auf den beiden Bildern gehören die links neben dem Eingang angebrachten Schilder. Auf dem Bild von 1905 sind hier mehrere Schilder angebracht. Das spätere Familienfoto zeigt lediglich ein einziges Schild an dieser Stelle und zwar eines, das auf dem älteren Bild nicht zu sehen war. Auch wenn das Schild schon etwas verwittert schien (Rost?), ließ sich ein Großteil der Schrift doch gut lesen. „Marke für Feinschmecker. Igeha. Chocolade Hauswaldt“ stand dort. Diese spezielle Art des Reklameschildes der Firma Joh. Gottl. Hauswaldt war wohl in den 1920er Jahren im Gebrauch – das zeigte eine kurze Bilderrecherche. Das Schild musste aber spätestens 1928 angebracht worden sein, denn das Traditionsunternehmen, das in Magdeburg-Neustadt Kakaoprodukte, Schokolade und Biskuit herstellte, existierte nur bis August 1928.3 Das hieß für mich: Bäckermeister Brede wird das Schild nicht mehr sehr lange danach hängen gelassen haben. Denn Werbung für ein Produkt, das nicht mehr hergestellt wurde und damit der Kundschaft auch nicht angeboten werden konnte, war auch damals schon schlechte Werbung. Ich schätzte das Aufnahmedatum also auf 1929 oder 1930 (vielleicht hatte Brede ja noch Restbestände ;-). Meine Überlegung wurde außerdem von dem Umstand gestützt, dass Christian Brede im November 1928 geheiratet hatte. Ich nahm daher an, dass er die Bäckerei erst danach übernommen hatte.

Freundliche Hilfe

Um das Jahr der Geschäftsübernahme zu klären, lag natürlich der Blick in historische Adressbücher nahe. Leider sind die Adressbücher von Geestemünde nur bis 1903 digital einzusehen (als Teil des Bremer Adressbuches).
Doch hier konnte mir glücklicherweise der Autor des Online-Artikels weiterhelfen. Er hatte zwar selbst kaum zusätzliche Informationen zu dem älteren Foto oder der Bäckerei. Freundlicherweise sprach er aber wiederum eine Bremerhavener Heimatforscherin an, die einige Adressbucheinträge zusammenstellte:

Für den DeichSPIEGEL zusammengestellt von Sabine Funk (Bildausschnitt)

Bäckermeister Brede war also zumindest 1929 Inhaber der Bäckerei. Die Familie tom Suden blieb offenbar weiterhin Besitzerin des Hauses selbst. Christian Brede verließ – wahrscheinlich schon vor 1939 – die Bülkenstraße und eröffnete in der Nordernfeldstraße 28 in Bremerhaven eine neue Bäckerei. Sie wurde später von seiner Tochter Waltraut und seinem Schwiegersohn Alfons Besser fortgeführt.
Für mich war damit zunächst einmal ein schönes (Zwischen-)Ergebnis meiner Forschung. Natürlich werde ich auch an diesem Thema weiterhin dran bleiben und neue Spuren suchen.

Bleiben Sie neugierig! Der nächste Blogbeitrag kommt bestimmt und zwar mit einer neuen Spurensuche.

P.S.: Noch einmal herzlichen Dank an Herrn Schwiebert und Frau Funke für ihre Informationen und Unterstützung!

1 Das Online-Magazin DeichSPIEGEL ist unter der URL https://www.schwiebert.lima-city.de zu finden.
2 Den Artikel des Bremerhavener Lokal-Chronisten Hermann Schwiebert kann ich nur wärmstens zur weiterführenden Lektüre empfehlen: https://www.schwiebert.lima-city.de/geestemuende-in-alten-und-neuen-ansichten-teil-10/#comment-2495. Hier ist auch mein E-Mail-Schriftwechsel mit Herrn Schwiebert nachzulesen.
3 https://neustadt-magdeburg.de/geschichte/die-schokoladenfabrik-johann-gottlieb-hauswaldt/

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